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Fachkräftetour – Interview Regionalagentur MEO

Mann spricht vor Publikum

„Silicon Valley der regionalen Arbeitsmarktpolitik“ - “ - Gespräch zur Fachkräftesituation in der Region MEO

Bodo Kalveram, Leiter der Regionalagentur MEO, im arbeit.nrw-Interview

Die Regionalagentur MEO (Mülheim, Essen Oberhasen) unterstützt auf regionaler Ebene die Fachkräfteoffensive des Landes. Bodo Kalveram, Leiter der Regionalagentur MEO, erläutert im Interview die Fachkräftesituation vor Ort.

ARBEIT.NRW: Herr Kalveram, wie ist die Lage am Arbeits- und Fachkräftemarkt in Ihrer Region?

Die Lage ist ambivalent. Auf der einen Seite haben wir in der MEO-Region eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, doppelt so hoch wie im direkt benachbarten südlichen Münsterland, und gleichzeitig haben wir eine starke Nachfrage nach Fachkräften in vielen Branchen. In Essen zum Beispiel in der Gesundheits- und Pflegebranche, im Handwerk oder im Dienstleistungssektor. Wir wollen deshalb die hohe Zahl an arbeitsuchenden Menschen in unserer Region in einen Vorteil umkehren, indem wir sagen: Wir haben die Menschen hier vor Ort und wollen sie über Weiterbildung und Qualifizierung dazu bringen, ihren Platz in der Arbeitswelt zu finden.

Handlungsbedarf besteht auch auf dem Ausbildungsmarkt. Die Ausbildungsbetriebsquote, also die Quote der Betriebe, die ausbilden, liegt in Oberhausen bei 20 Prozent, in Essen und Mülheim bei 18 Prozent – mit fallender Tendenz, Für den Rückgang gibt es mehrere Gründe: Der Aufwand für Ausbildung erscheint manchen Betrieben zu groß und immer wieder hört man Klagen über die mangelnde Ausbildungsreife von Jugendlichen. Außerdem gibt es immer mehr Alternativen für junge Menschen wie etwa ein Studium oder ein freiwilliges soziales Jahr. Viele Jugendliche verzichten aufgrund kurzfristiger Vorteile lieber auf eine Ausbildung. Sie arbeiten lieber in irrgendeinem Job mit Mindestlohn, für den keine besonderen Qualifikationen erforderlich sind, weil sie da sofort etwas Geld verdienen.

Wir müssen es hinbekommen, dass wieder mehr Betriebe ausbilden und zugleich müssen wir den Übergang von der Schule in den Beruf weiter optimieren. Die vom Land geförderten Übergangslotsen und die Berufseinstiegsbegleitung sind dabei eine wichtige Unterstützung. Zum Glück zeichnet sich eine leichte Trendwende ab: Erstmals gibt es wieder mehr Auszubildende als Studierende.

ARBEIT.NRW: Was hat die Regionalagentur bereits vor der Veranstaltung im Handlungsfeld Fachkräftesicherung unternommen? Was sind Ihre Prioritäten?

Im vergangenen Jahr fand die erste Essener Fachkräftekonferenz statt, eine Gemeinschaftsveranstaltung der Interessengemeinschaft Essener Wirtschaft, der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft und der Regionalagentur MEO. Ziel der Konferenz war, dem Fachkräftemangel zu begegnen und die Standortattraktivität zu steigern.

Bei der Konferenz haben wichtige Akteure des Essener Arbeitsmarkts die „Essener Charta der Fachkräfte“ unterzeichnet, in der wir geeignete Maßnahmen zur Fachkräftesicherung aufzeigen. Unterzeichnet haben die Charta neben den bereits genannten Institutionen die Stadt Essen, die Agentur für Arbeit Essen, die Kreishandwerkerschaft Essen, die EABG Essen, der Essener Unternehmerverband, die IHK MEO, der Deutsche Gewerkschaftsbund MEO und wir als Initiator der Charta.

Ein weiteres Beispiel für die Vielfalt unserer Aktivitäten ist neben dem beim Fachkräftekongress vorgestellten KAUSA-Projekt das Event „Vernetzte Bildungsräume“ speziell für die Hotel-, Event- und Gastrobranche, die bei der Sicherung ihres Fachkräftebedarfs vor großen Herausforderungen steht. Ziel der Veranstaltung war, Transparenz über die regionalen Angebote zur beruflichen Weiterbildung herzustellen und Beispiele guter Praxis zu präsentieren. Themenschwerpunkte waren zudem die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland, Sprachkurse im Arbeitsalltag, Digitalisierungswege und das Qualifizierungschancengesetz.

Zu nennen ist darüber hinaus das Projekt „WIN 4.0“ mit dem Ziel, die digitalen Kompetenzen von Mitarbeitenden kleiner und mittelständischer Unternehmen im Ruhrgebiet zu fördern, an dessen Start wir als Regionalagentur maßgeblich beteiligt waren. Das Weiterbildungsnetzwerk unterstützt Unternehmen bei der systematischen Entwicklung von Weiterbildungen im Bereich der Industrie 4.0-Technologien.

Erwähnenswert ist darüber hinaus die von uns mitorganisierte „lange Nacht der Ausbildung“. Hier haben wir Jugendlichen einer Gesamtschule im Essener Norden die Vielfältigkeit der Gesundheitsbranche präsentiert. Hier konnten sie einen Betrieb zur Medikamentenproduktion besuchen, bei einem Schuhmacher die hochkomplexe Anfertigung von Prothesen kennenlernen, aber auch die Arbeit in einem Altenheim sowie die Tätigkeit eines Zweiradmechanikers, der Rollstühle repariert. Von den zehn jungen Menschen, die an der Exkursion teilgenommen haben, sind sechs mit einem konkreten Ausbildungsangebot nach Hause gegangen. Die Tour war Vorbild für das Format „Road to Future“. Hier konnten Jugendliche verschiedener Schulformen auf drei Routen zu jeweils drei Betrieben, praktische Einblicke in angebotene Ausbildungsberufe gewinnen. Es ist ja so: Bei großen Events gibt es immer Streuverluste. Wenn wir uns aber auf kleinere Gruppen konzentrieren, haben wir meist eine wesentliche höhere Effizienz.

 ARBEIT.NRW: Welche Erkenntnisse haben Sie bei der Veranstaltung gewonnen und was ergibt sich daraus für Ihre weitere Arbeit im Rahmen der Fachkräfteoffensive?

Die Veranstaltung war faktisch eine Bestätigung unseres Mottos „Vielfalt verbindet“. Es war faszinierend zu sehen, wie viele unterschiedliche Menschen mit völlig unterschiedlichen Herkünften sympathisch und komplementär zusammenkommen können. Bedrückend hingegen war zu sehen, dass manche Auszubildende mehrere Jahre vergeblich nach einem Ausbildungsplatz suchen mussten. Wir haben auch in unserer Alltagsarbeit erlebt, dass eine junge Mutter mit Migrationshintergrund erst über das Landesprogramm „Teilzeitberufsausbildung – Einstieg begleiten – Perspektiven öffnen“ (TEP), das Ausbildungsplatzsuchenden eine sozialpädagogische Begleitung bei der Ausbildungsplatzsuche bietet, bei der Ruhrbahn etwas für sie Passendes gefunden hat. Beeindruckend wiederum war bei der Veranstaltung zu erleben, dass die jungen Menschen trotz vieler Hemmnisse und Enttäuschungen nicht aufgegeben, sondern mit viel Energie doch noch den Weg in die Berufswelt gefunden haben.

ARBEIT.NRW: Warum sind die Regionalagenturen Initiatoren und Treiber in dem Prozess? Was befähigt sie dazu?

Zu nennen ist da sicher unsere ausgeprägte Netzwerkkultur. Nehmen Sie allein die Veranstaltung: Innerhalb kürzester Zeit ist es uns gelungen, 160 Vertreterinnen und Vertreter aller relevanten Akteure der regionalen Arbeitsmarktpolitik zusammenzubringen. Es gelingt uns, Menschen in den verschiedenen Einrichtungen für unsere Themen zu begeistern, die letztlich auch ihre Themen sind.

Aufgrund unserer Flexibilität und Kreativität können wir Neues ausprobieren, Projekte entwickeln, Impulse hineingeben in die Region, die dann von den großen Einheiten aufgegriffen und in der Fläche ausgerollt werden können. Zudem können wir Nischen besetzen wie das Thema Teilzeitberufsausbildung oder das Thema Inklusion, damit es uns besser als bisher gelingt, Menschen mit Beeinträchtigung in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Insofern sind wir, um es bildlich zu fassen, ein Schnellboot, das zwischen den großen Tankern hin- und herfährt und Impulsgeber für Neues ist, oder, etwas abstrakter formuliert, wir sind das regionale Silicon Valley der Arbeitsmarktpolitik.

Doch so wichtig die Institutionen sind und im Publikum waren sie selbstverständlich vertreten, aber beim Fachkräftekongress haben wir ganz bewusst nicht vorrangig die arrivierten Player wie die Kommune, die Arbeitsagentur oder die Jobcenter auf die Bühne geholt, sondern den Menschen Raum gegeben, die sonst nicht leicht zu hören sind, aber auf die wir bei der Fachkräftegewinnung dringend angewiesen sind.

Fachkräftetour - Minister Laumann in der Region MEO, Bericht und Fotogalerie